CD Kritik: Frankfurter Allgemeine Zeitung, August 2000
Felle
sind geduldig
Matthias Kaul trommelt Werke von Tenney, Cage und Eigenes.
Nach fünf Minuten weiß man, warum das 1997 entstandene Stück "Hendrix" heißt.
Dumpf verhallte, durch elektronische Manipulationen verfremdete Paukenschläge
crescendieren, bis das Fell des Instruments kreischt wie seinerzeit die
Gitarrre des legendären Rockmusikers. Dann schraubt sich der Sound hinauf
und hinunter, eingehüllt von hektisch metallischen Drumset-Figuren Matthias
Kaul, der das Stück improvisierte - oder auch komponierte -, sind Rock,
Jazz, Ethno und neue Musik gleichermaßen vertraut. Grenzüberschreitungen
zwischen den Genres sind Basis seines Musizierens. Mit spielerischer Neugier
bedient der Schlagzeuger sein umfangreiches Instrumentarium, setzt es, wie
bei "Hendrix", unter Strom oder passt die Konstruktion der Instrumente seinen
musikalischen Vorstellungen an. Neben einem vielgestaltigen Perkussionsapparat
benutzt er auch die Stimme. Die fünf Stücke auf Kauls Solo-CD enthaltenen
Gesprochenes in Englisch, Deutsch, Kisuaheli und der Sprache der Roma -
der Musiker ist weit gereist. Dazu tritt Gesummtes, Gebrummeltes und melismatisch
Intoniertes. "Kutunga" (1994) zum Beispiel ist ein musikalisch-literarisches
Gedicht aus einem rezitierten afrikanischen Text und reduktiven Schlagzeugklängen,
"Mazza" (1997) Kombination aus sanften Vokalisen und korrespondierenden
Perkussionsklängen in ostasiatisch anmutendem Sound. Musik und Text in Kauls
Stücken evozieren unterschiedliche Kulturen, die auf der CD ganz selbstverständlich
nebeneinander stehen.. Doch ihm geht es nicht um asiatisch Meditatives oder
um afrikanisch Rhythmisches, schon gar nicht um mythisch Esoterisches. Der
Antrieb seines Musizierens, Improvisierens und Komponierens ist das Experiment.
Kaul entdeckt einen Klang, eine Spieltechnik oder einen Effekt, stellt in
Frage und entwickelt Antworten. Die Intensität dieser Arbeit macht die Qualität
seiner Stücke aus und überträgt sich auf den Hörer. Er wird in den Prozess
hineingezogen, nimmt Teil am klingenden Experiment. Auch beim Interpretieren
durchdringt Matthias Kaul die Materie der Komposition, selbst bei schwierigstem
Repertoire. Das zeigen die beiden CDs mit Schlagzeugwerken des amerikanischen
Komponisten James Tenney bei hatART und Stücken von John Cage bei Wergo.
Siebzehn Minuten dauert das gestreckte,Crescendo- Decrescendo, aus dem Tenneys
"Koan. Having Never Written a Note For Percussion" (1971) für Tamtam besteht.
Kaul hält ,die Spannung bei der Entwicklung eines breit gezogenen dynamischen
Spektrums. Der Klang kommt aus dem Nichts, wächst zu geradezu beängstigender
Dichte heran und verschwindet wieder. Kauls Interpretieren, sei es beim
Solo-Spiel oder im Ensemble mit seiner Hamburger Neue-Musik-Gruppe "l'art
pour l'art", packt durch die intuitive Fähigkeit des Musikers, weit gezogene
Prozesse, ungewöhnliche Klangverläufe oder statische Elemente, wie etwa
in Tenneys "For Percussion Perhaps", (1970/71), mit beeindruckender
Präsenz zum Klingen zu bringen. Besonderes Interesse richtet der Musiker
auf Gratwanderungen und Unschärferegionen in der Musik. Das sind beispielsweise
instrumentenbedingte Schwankungen des statischen Klangfelds in "For Percussion
Perhaps, Or..." oder unberechenbare Rückkopplungen durch zugeschaltete Elektronik
bei "Hendrix". Darüber hinaus entfaltet Kaul subtile klangliche Wechselwirkungen,
etwa im Zusammenspiel mit den pointierten elektronischen Sounds in Tenneys
"Ergodos" (1963/64) für Tonband und Schlagzeug. Dieses Interesse an
Grenzen und neuen klanglichen Erfahrungen führte zur Auswahl zweier experimenteller
Musiker bei den CD-Veröffentlichungen. James Tenney ist der Vertreter einer
frühen elektronischen Musik in den Vereinigten Staaten, alle auf der CD
eingespielten Stücke außer "Maximusic" (1965) sind Erstveröffentlichungen
- ein lobenswerter Beitrag zur Diskographie des hierzlande viel zu wenig
bekannten Komponisten. John Cage hingegen ist berühmt, seine Musik auf Tonträgern
gut dokumentiert. Dennoch ist, die von Kaul und dem Geiger Malcolm Goldstein
vorgelegte CD bei Wergo unbedingt hörenswert. "Ryoanji" (1983185) für Melodiestimme
und Schlagzeug fesselt vom ersten bis zum letzten Ton. Das Zusammenspiel
der beiden Musiker wirkt, fein abgestimmt, von ebenso fesselnder Intensität
durchdrungen wie der Klangdialog in Music For Two" (1985) und die fein austarierte
Klangbalance zwischen Violine und Glasharfe in den "Variations 2" (1961).
Jeder Klang und jeder Schlagzeugschlag scheint so realisiert, wie John Cage
es beabsichtigte: spontan, wie gerade erfunden und komponiert.
Hanno Ehrler Frankfurter Allgemeine Zeitung