CD Kritik: Fonoforum, Oktober 1999
Wunderbar
Immer, wenn man nicht weiter weiß, wenn die Kategorien des Hörens durcheinander
geschüttelt worden sind, man nicht rechts noch links unterscheiden kann,
höre man die Musik von John Cage. In eigenartiger Schnelligkeit beginnen
die Dinge, auch Maßstäbe, sich unter dem Eindruck seiner komplexen Einfachheit
zu ordnen, ins Lot zu geraten. Das ist eines der Geheimnisse des größten
Musik-Anarchisten dieses Jahrhunderts - daß er, bei aller scheinbaren Beliebigkeit
seiner Werke, am Ende doch eine feste Burg in der Musik unserer Zeit bildet.
Ein unlösbares Mysteriurn, das sich auch beim Hören dieser Einspielung sofort
mitteilt, plausibel wird mit jeder kammer- musikalischen Faser. Geboten
werden Duo- und Solo- Formate, die, teilweise transkribiert, auf das Gespann
Malcolm Goldstein und Matthias Kaul zugeschnitten sind. Dabei gehen die
beiden auf eine offene, in ihrer Offenheit auch verletzliche Klangsuche.
Das ist ja gerade die Chance dieser Musik, daß die Multiplizität der Auslegung
solch ein selbst- verantwortliches Suchen möglich macht, ja, einfordert.
Und Goldstein und Kaul liegen in ihrer Auffassung (die Humor nicht ausschließt)
auf einer höchst hörenswerten Bandbreite. Die beiden haben nämlich ein wunderbares,
sensibles Klanggefühl. Ein außergewöhliches Glück, im Falle Cage sowieso.
Unter anderem: Zum wievielten Male ist eine Version des Ryoanji zu hören?
jene klangliche Umsetzung der visuellen Ruhe, die Cage beim Betrachten des
Steingartens im Kloster von Kyoto befiel und deren Ausführung unter dem
Diktum steht. "( ...1 eher wie Klangereignisse in der Natur denn als musikalische
Klänge wiederzugeben"). Ein schwebend glissandierendes Ereignis. Hier ist
es eine Offenbarung.
Tilman Urbach, FONOFORUM